Frauenpolitische Fachtagung 2023

Kampf gegen Sexuelle Belästigung: Ein Marathonlauf mit Hürden

Die 17. Frauenpolitische Fachtagung am 14. Juni in Berlin stieß auf große Resonanz. Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich, um das Thema "Hinsehen, Einschreiten, Vorbeugen - Null Toleranz bei sexueller Belästigung, Gewalt und Mobbing" zu diskutieren.

Sexuelle Belästigung, Gewalt und Mobbing sind bedauerlicherweise alltägliche Realitäten an vielen deutschen Arbeitsplätzen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2019 haben 26 Prozent aller abhängig beschäftigten Frauen in Deutschland bereits sexuelle Übergriffe im Arbeitsumfeld erlebt. Das sind 26 Prozent zu viel.

Milanie Kreutz, Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, stimmte in ihrer Eröffnungsrede die Zuhörerinnen und Zuhörer auf den langen Weg zu einem gewaltfreien Arbeitsplatz ein: „Die Bekämpfung von sexueller Belästigung, Gewalt und Mobbing wird kein kurzer Sprint, sondern ein Marathon sein. Es ist eine kontinuierliche Aufgabe, die Ausdauer, Engagement und die Bereitschaft, Veränderungen voranzutreiben, erfordert. Aber es ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, um eine gerechte und respektvolle Gesellschaft zu schaffen und den öffentlichen Dienst weiterhin für Nachwuchs- und Bestandskräfte attraktiv zu machen.“

Das Ziel der Marathonstrecke ist also klar: Von 26 Prozent auf null.

Die Hürden auf der Marathonstrecke

dbb Bundesvorsitzender Ulrich Silberbach erweiterte die Marathon-Metapher und sprach von einem Hürdenlauf. Doch  welche Hürden gibt es auf dieser Strecke? Anders gefragt, warum ist der Kampf gegen Übergriffe so schwierig? Dr. Sabine Jenner, dezentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der Charité Berlin, hatte an ihrer Arbeitsstelle eine Studie zur Prävention sexueller Belästigung durchgeführt. Dabei kam heraus, dass vielfach nicht die Sicht der Betroffenen auf eine Grenzverletzung im Vordergrund stehe, sondern die der Verursachenden. Dabei sei die Perspektive der Betroffenen der entscheidende Maßstab für Grenzverletzungen. Dieser Widerspruch sei das Hauptproblem bei der Vermeidung und Aufklärung von Mobbing und Belästigung.

Obwohl es bereits Anlaufstellen für Betroffene gibt, suchen diese sie häufig nicht auf. Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, sieht hierfür verschiedene Gründe: „Beschäftigte wissen oft nicht, dass es in ihrer Arbeitsstelle eine Anlaufstelle gibt, weil oft gar nicht darüber informiert wird. Und selbst wenn es eine gibt, trauen sich Betroffene häufig nicht, auf diese zuzugehen, aus Angst vor negativen Konsequenzen für sich selbst."

Mobbing betrifft den ganzen Arbeitsplatz

Sandra Maurer, Rechtsanwältin und Co-Autorin des Buchs „Mobbing und sexuelle Belästigung im öffentlichen Dienst“ macht auf die gravierenden gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen von Langzeitmobbing aufmerksam: „Die Betroffenen werden immer misstrauischer. Glauben, ständig auf der Hut und in Verteidigungshaltung sein zu müssen. Der daraus resultierende Stress wird Auswirkungen auf die Arbeit haben, auf ihre Leitungsfähigkeit, das Miteinander im Job und auf die psychische Gesundheit.“ In der Konsequenz verursache Mobbing damit nicht nur psychische und gesundheitliche Schäden, sondern – durch Leistungsabfall, Erkrankung und Fehlzeiten – auch immense volkswirtschaftliche Schäden. Maurer forderte daher, die Prävention gegen Mobbing am Arbeitsplatz müsse so früh wie möglich, am besten bereits in Kita und Schule beginnen.

Paus: „Werden wir nicht hinnehmen“

Ein Highlight der Veranstaltung waren die klaren Worte von Lisa Paus,Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Form von Gewalt, die sich vor allem gegen Frauen richtet und bei der es in erster Linie um die Demonstration von Macht geht. Wir dürfen und wir werden sie nicht hinnehmen! Schutz und Unterstützung sowie das Recht auf einen Arbeitsplatz ohne sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt - das gilt für alle. Und klar ist zugleich: Der öffentliche Dienst muss Vorbild im Kampf gegen sexuelle Belästigung sein."

Ihren Redebeitrag schloss Paus mit einem Zitat aus Herbert Grönemeyers Hymne „Männer“, die der Sänger anlässlich des Weltfrauentages umgedichtet hat. Darin heißt es: „Frauen machen uns stark. Frauen sind wie Rückenwind. Frauen sind auf dieser Welt einfach unersetzlich. Wann ist eine Frau eine Frau?“ – der Kommentar der Ministerin: „Mein Refrain lautet: Wenn Frau an jedem Ort sicher ist. Und wenn sie frei, ohne Angst vor Sexismus, leben kann.“

Auch Silberbach hob die tragende Rolle des öffentlichen Dienstes bei der Prävention und Bekämpfung hervor: „Bei sexualisierter Gewalt und Belästigung sowie Mobbing darf es keine Toleranz geben – auch und gerade im öffentlichen Dienst. Hier steht der Staat als Arbeitgeber besonders in der Pflicht und sollte für andere gesellschaftliche Bereiche und die Privatwirtschaft ein Vorbild sein.“ Alle Beschäftigten sollen sich am Arbeitsplatz sicher fühlen können.

Die Route des Marathons wird immer klarer, auch die Hürden sind bekannt. Wie können wir die einzelnen Hürden jetzt am besten nehmen?

Mehr Anlaufstellen

Katrin Walter, zuständige Abteilungsleiterin für den öffentlichen Dienst im Bundesinnenministerium (BMI) schlug vor, spezielle Ansprechstellen bei der Polizei zu schaffen, an denen betroffene Frauen Hilfen bekommen. Auch intern wolle das BMI klare Zeichen gegen Gewalt, Mobbing und Schikane setzen. Deshalb hat die Behörde einen Änderungsentwurf für das Bundesdisziplinargesetz vorgelegt, um Disziplinarverfahren zu beschleunigen. Dr. Nina Guérin, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Landes Baden-Württemberg, wünschte sich eine dreigliedrige Struktur aus internen Beratungsstellen, Beschwerdestellen und unabhängigen zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen. Finanzielle Ressourcen seien kein Argument gegen Anlaufstellen, stellte Kathrin Böhler, juristische Referentin im Beratungsreferat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, klar: „Wenn es einen Willen gibt, dann gibt es auch die Mittel.“ Einen Grund für den ausweichenden Umgang mit dem Thema sieht sie in der Tabuisierung des Themas.

Mehr Aufmerksamkeit

Obwohl es in vielen Betrieben bereits Anlaufstellen gibt, nutzen Betroffene diese häufig nicht. Ataman schlug fünf Maßnahmen vor, mit denen man auch diese Hürde meistern kann: „Klare Prozesse bei Belästigungsfällen schaffen, auf diese Prozesse und die Anlaufstelle aufmerksam machen, verpflichtende Fortbildungen zur Sensibilisierung und Aufklärung abhalten, regelmäßige anonyme Befragungen bei den Beschäftigten durchführen und Verhaltensgrundsätze festlegen.” So können Arbeitgeber Übergriffe vorbeugen und dokumentierte Fälle nachverfolgen. Guérin und Kreutz forderten ebenfalls bessere Information über bestehende Anlaufstellen.

Mehr Zeit und Handlungsfähigkeit für Betroffene

Ataman plädierte zudem dafür, die Anzeigefrist von zwei auf zwölf Monate zu erhöhen. „In unserer Erfahrung sind zwei Monate zu wenig für die Betroffenen, um sich dafür zu entscheiden, juristische Schritte einzuleiten und diese auch vorzubereiten. Darüber hinaus brauchen wir eine Beweislasterleichterung, da es oft erschwert ist, eine Belästigung vor Gericht nachzuweisen", so Ataman. Häufig trauen sich Betroffene oder Zeugen nicht, Vorfälle zu melden. Nach Maurer sei dies insbesondere in Arbeitsstellen, in denen man gleich zum Justiziar oder zur Personalabteilung müsste, der Fall.

Mehr Kompetenzen für Anlaufstellen

Damit die Aufklärung funktioniert, brauchen Anlaufstellen den Rückhalt ihrer Dienststelle oder Institution. Maurer kritisierte, dass Vorfälle zu oft hinter verschlossenen Türen geregelt werden. „Das wollen wir aber nicht. Wir wollen die offene öffentliche Debatte.“ Im schulischen Bereich dürfe die Präventions- und Aufklärungsarbeit nicht allein auf die Lehrkräfte abgewälzt werden. Kreutz forderte mehr Sozialarbeitende und entsprechende Förderprogramme, damit sich Lehrkräfte wieder auf das Lehren konzentrieren können.

Der Handlungsbedarf ist groß – die Motivation ist umso größer

Trotz des schwierigen Themas war die Stimmung auf der Veranstaltung sehr gut. Die Gäste beteiligten sich kräftig an den Diskussionen und nutzen die Veranstaltung ausgiebig, um neue Kontakte zu knüpfen. Insbesondere bei der Fishbowl-Diskussion nutzen viele die Gelegenheit, über persönliche Erfahrungen zu sprechen und die eigene Perspektive einzubringen. Auch auf den sozialen Netzwerken kam die Veranstaltung ebenfalls sehr gut an: Zahlreiche Beteiligte posteten rund um die Veranstaltung oder teilten die Beiträge des dbb mit ihren Followerinnen und Followern. Für alle, die es nicht zur Veranstaltung geschafft hatten, gab es einen Instagram Livestream, der ebenfalls gut besucht war.

Die Veranstaltung hat deutlich gemacht, wie groß das Interesse und der Handlungsbedarf in diesem Feld ist. Wir möchten die Gelegenheit nutzen, um nochmal danke an alle Referentinnen und Gästen zu danken, sowie allen Organisatorinnen und Organisatoren, ohne die diese tolle Veranstaltung gar nicht erst möglich gewesen wäre. Wir freuen uns, Sie alle spätestens bei der nächsten Frauenfachtagung wiederzusehen!

 

Aufzeichnungen der Eröffnungsrede von Milanie Kreutz und den Vorträgen von Lisa Paus und Ferda Ataman können Sie in unserer Mediathek ansehen.

 

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