Justizia
EuGH stärkt Rechte von Schwangeren nach Kündigung
Laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) muss Schwangeren zur Anfechtung ei-ner Kündigung eine angemessene Frist gewährt werden. Die Frist von zwei Wochen für den Antrag auf Zulassung einer verspäteten Klage sei zu kurz (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2024, Aktenzeichen C-284/23).
Der Fall
Vor dem Arbeitsgericht Mainz hatte eine Pflegehelferin gegen ihre Kündigung geklagt. Gekündigt wurde ihr am 6. Ok-tober 2022 zum 21. Oktober 2022. Zum Zeitpunkt der Kündigung war sie bereits schwanger. Von ihrer Schwangerschaft erfuhr sie aber erst danach, nämlich am 9. November 2022. Am darauffolgenden Tag, dem 10. November 2022, informierte sie ihre Arbeitgeberin über die Schwangerschaft. Die Klage gegen die Kündigung reichte sie dann wiederum etwa einen Monat später – am 13. Dezember 2022 – ein. Einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellte sie dabei nicht.
Laut § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG) dürfen Schwangere nicht gekündigt werden. Kündigungsschutzklagen müssen aber innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden, sonst ist die Kündigung wirksam. Den Fall, dass Schwangere erst nach Zugang der Kündigung von ihrer Schwangerschaft erfahren, hat der Gesetzgeber gesehen und deswegen in § 5 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) geregelt, dass die Schwangere dann innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis von der Schwangerschaft einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage stellen kann. Im vorliegenden Fall hatte die Schwangere aber auch diese Frist verpasst. Trotzdem wies das Arbeitsgericht die Klage nicht direkt ab, sondern meldete Zweifel an, ob die zweiwöchige Frist ab Kenntnis der Schwangerschaft mit der EU-Richtlinie 92/85/EWG vereinbar oder aber zu kurz bemessen und damit unvereinbar sei. Um das zu klären, legte es die Frage dem EuGH vor.
Die Entscheidung
Der EuGH entschied, dass die Frist von zwei Wochen für Schwangere, die erst nach Ablauf der Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage von ihrer Schwangerschaft erfahren, zu kurz bemessen und insoweit mit der einschlägigen EU-Richtlinie unvereinbar ist.
Wisse eine Schwangere um ihre Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung, habe sie drei Wochen Zeit zur Klageerhebung. Sei dem nicht so, blieben ihr nur zwei. In diesem kürzeren Zeitraum müsse sie sich nicht nur beraten lassen und die Klage einreichen, sondern außerdem den Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellen. Das scheine der Schwangeren die Durchsetzung ihrer Rechte zu erschweren. Ob dem tatsächlich so ist, muss nun das Ausgangsgericht, also das Arbeitsgericht Mainz entscheiden.
Wie lange genau die Frist für Schwangere sein muss, die erst nachträglich von ihrer Schwangerschaft erfahren, hat der EuGH nicht festgelegt. Falls das Arbeitsgericht, wie vom EuGH angedeutet, eine Verlängerung auf drei Wochen als angemessen erachtet, wäre der Klägerin nicht geholfen. Sie hatte sich nach Kenntnis der Schwangerschaft mit der Erhebung der Klage über einen Monat Zeit gelassen.
Das Fazit
Das Mutterschutzgesetz und auch § 5 des KSchG erlauben Schwangeren das Vorgehen gegen eine Kündigung explizit auch dann, wenn sie erst nach Kündigung von ihrer Schwangerschaft erfahren und die Kündigungsschutzfrist abgelaufen ist. Warum diese Frist dann kürzer ausfallen sollte, erschließt sich nicht. Das hat der EuGH nun bekräftigt. Unabhängig davon ist gekündigten Arbeitnehmenden stets zu raten, nach einer Kündigung nicht zu lange zu zögern. Auch über die für alle grundsätzlich geltende dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage wissen längst nicht alle Bescheid. Das kann bitter werden – auch ungerechtfertigte Kündigungen sind nach Ablauf der Frist in der Regel nicht mehr angreifbar.