• V.l.: Dr. Dorothea Kliche-Behnke, Katrin Böhler, Heidi Deuschle, Florian Wahl

Fachgespräch Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Deuschle: „Arbeitgebende müssen sich endlich dem Problem stellen“

Im Sommer 2022 traf sich der Innenausschuss von Baden-Württemberg, um zu beraten, wie sie sexuelle Belästigung in Betrieben und Behörden eindämmen können. Damals bestand Einigkeit bei den Expertinnen, dass es in Betrieben eine Null-Toleranz-Philosophie geben müsse. Was hat sich seitdem getan? 

Am 23. November 2023 bot die Baden-Württembergische SPD-Fraktion im Rahmen eines Fachgesprächs mit dem Titel „sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gemeinsam entgegentreten“ Expertinnen die Möglichkeit, sich auszutauschen und einander auf den neusten Stand zu bringen. Mit dabei: Heidi Deuschle von der Frauenvertretung des BBW als Expertin für den öffentlichen Dienst. Sie diskutierte dort mit Dr. Dorothea Kliche-Behnke MdL, Sprecherin für Frauen und Gleichstellung der SPD Baden-Württemberg, Kathrin Böhler, juristische Referentin im Beratungsreferat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Borghild Strähle, Antidiskriminierungsberaterin bei adis e.V. über die aktuellen Entwicklungen.  

Jede fünfte Frau hat bereits sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Sexualität wird gezielt als Mittel zur Demütigung und Machtausübung eingesetzt. Solche Übergriffe sind nicht nur schädlich für die psychische Gesundheit der Betroffenen, sondern wirken sich auch extrem negativ auf die gesamte Arbeitsumgebung aus. Statt nachzulassen, werden diese Übergriffe immer häufiger. Auch die Bedrohungen von außen, nämlich verbale und physische Attacken auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst, nehmen zu.   

Vier Maßnahmen gegen Gewalt 

„Arbeitgebende müssen sich endlich dem Problem stellen“, machte Heidi Deuschle bei der Veranstaltung, welche anlässlich des internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November stattfand, klar. „Die in vielen Behörden und Dienststellen gelebte Kultur des Klein-Redens muss ein Ding der Vergangenheit werden. Als Gesellschaft sind wir nur so stark wie unsere Entschlossenheit ist, Unrecht zu bekämpfen und die Betroffenen zu unterstützen.“ 

Deuschle nannte vier Punkte, die es braucht, um der Gewalt entgegenzuwirken und Opfern zu helfen:  

  1. Klare Prozesse bei Belästigungsfällen aufsetzen.  
  2. Auf diese Prozesse und die Anlaufstellen aufmerksam machen.  
  3. Verhaltensgrundsätze über Dienstvereinbarungen definieren und festlegen.  
  4. Über anonyme Befragungen Wirkung abrufen. 

Dafür ist eine Kultur des Vertrauens erforderlich. Es braucht Dienstvereinbarungen in den einzelnen Verwaltungsbereichen und unabhängige Anlaufstellen, die Betroffenen schnelle und unbürokratische Hilfe bieten. In einzelnen Ministerien wurden zu diesem Zweck bereits. Vertrauensanwältinnen und Vertrauensanwälte installiert, die als Anlaufstellen fungieren. Führungskräfte sollen die in den Dienstvereinbarungen klar formulierten Vorgaben leben. Deshalb muss deren Schulung ein wesentlicher Baustein in der Personalentwicklung sein.  

„Null-Toleranz heißt, dass derartige Vorfälle immer aufzugreifen und ernst zu nehmen sind“, erklärte Deuschle. „Es gehört auch in den Verantwortungsbereich von Führungskräften, hier Ansprechpartnerin zu sein und Betroffenen so zur Seite zu stehen, dass diese nicht innerhalb des Arbeitsgebietes Repressalien erfahren. Auch sind Fortbildungen nicht nur für Dienststellenleitungen und Führungskräfte anzubieten, sondern auch im kollegialen Bereich.“ Hier müsse die Teilnahme an den Schulungen genauso als Pflicht vorgegeben werden. Deuschle weiter: „Opferschutz muss ganzheitlich und weniger punktuell gedacht werden. Dafür müssen unsere Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst besser untereinander vernetzt werden und kontinuierlich gezielte Aus- und Fortbildungen erhalten.“ 

Mehr Instrumente in den Ministerien

Die gute Nachricht: Einige baden-württembergische Ministerien haben seit der Ausschusssitzung 2022 Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt geschaffen und erweitert. Im Innenministerium gibt es beispielsweise seit einem halben Jahr eine Dienstvereinbarung und klar definierte Ansprechstellen. Sozialministerium und Justizministerium haben Vertrauensanwälte installiert. Im Finanzministerium gibt es eine bestehende Dienstvereinbarung, die das Problem grob umfasst und mit aktualisierten Anforderungen bis zum Februar 2024 fertiggestellt werden soll. Die neue Vereinbarung soll sehr umfassend werden und auch Regelungen und Schulungen enthalten. Zudem wurden im Sommer 2023 eine Vertrauensanwältin und ein Vertrauensanwalt bestellt. Die beiden sind gerade auf Vorstellungstour, was von den Betroffenen sehr gut angenommen wird.  

„In Zeiten nach Corona, Kriegen in der Ukraine und Israel sowie hohen Flüchtlingszahlen ist es wichtig, ein Signal zu setzen, dass der Landesregierung Gleichstellung und Gleichberechtigung ein großes Anliegen sind“, betonte Deuschle. Wer gleichberechtigt sei und auf Augenhöhe wahrgenommen werde, werde nicht Opfer von Gewalt. Wer nicht respektiert werde, sei dagegen viel schneller in der Gefahr, sexuelle oder sonstige Gewalt zu erleben. Deuschle nannte daher die Novellierung des Chancengleichheitsgesetzes (ChancenG) ein Muss. „Dieses Gesetz kann respektvollem Umgang zu mehr Gewicht verhelfen. Denn es genügt nicht, Prozesse aufzusetzen und deren Wirkung abzuwarten, sondern es muss dringend das Ansehen des öffentlichen Dienstes in der Außenwahrnehmung verbessert werden.“ 

 

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