dbb magazin 03/2016 - page 20

die andere meinung:
Der Arbeitsmarkt hält viele Flüchtlinge aus
Das neue Jahr fing auf dem Arbeitsmarkt scheinbar schlecht an. Mit der
Meldung, die Arbeitslosenzahl sei im Januar hochgeschossen, um satte
239000 gegenüber dem Dezember. Es lag nahe, das mit dem Flüchtlings-
strom zu verbinden. Doch war dieser Anstieg rein saisonal bedingt; im Jah-
resvergleich hatte die Zahl sogar um 110000 abgenommen. Das deutsche
Jobwunder hält unvermindert an.
Wenn es Gefahren für den
Arbeitsmarkt gibt, dann lau-
ern sie in den schwächelnden
Exportmärkten in China und
anderen Schwellenländern.
Oder im zusammenbrechen-
den Ölmarkt. Nicht aber im
massiven Zuzug von Flüchtlin-
gen. Auch die Rekordzahl von
einer Million Zuzüglern allein
in 2015 hat bisher keinerlei
Spuren in der Statistik hinter-
lassen. Das wird zwar nicht
komplett so bleiben, aber
wenn es gut läuft, weitge-
hend. Der deutsche Arbeits-
markt kann, so die Schätzung
der Bundesagentur für Arbeit,
jährlich 350000 zusätzliche
Arbeitskräfte verkraften – das
wären praktisch alle arbeitsfä-
higen Flüchtlinge des letzten
Jahres mit Aussicht auf einen
längeren Aufenthaltsstatus
gewesen.
Kurzfristig entlasten die Flücht-
linge den Arbeitsmarkt sogar,
denn für ihre Betreuung, die
Verwaltung und für die Sicher-
heitsdienste werden jetzt über-
all Leute gesucht; ebenso als
Lehrer und Kindergärtner. In
den nächsten Jahren aber wird
die Arbeitslosenzahl durch sie
zunächst steigen. Um bis zu
200000 schätzt man für 2016,
was aber durch die ansonsten
positive Entwicklung weitge-
hend wieder wettgemacht
werden kann, sodass wahr-
scheinlich nur ein kaummerk­
liches Netto-Plus von 70000
bleiben wird. 2017 sollen es
mehr sein. Dann werden die
Problem ernster. Es sind aber
Übergangsprobleme.
Noch ist das alles sowieso kein
Thema. Noch sitzen die meisten
Flüchtlinge in Notunterkünften
fest. Erst kommt das langwie­
rige Asylverfahren, dann der
Integrationskurs, dann die
Aus- und Fortbildung oder die
Anerkennung des früher erwor-
benen Berufsabschlusses. Ex-
perten der Bundesagentur rech-
nen damit, dass allenfalls zehn
Prozent der Betroffenen schon
nach einem Jahr werden arbei-
ten können und dass es zehn
Jahre dauern wird, bis 70 Pro-
zent der Neubürger endlich in
Jobs untergebracht sind. Hinter
dieser Schätzung steckt auch
eine ernüchternde Feststellung:
Es sind eben nicht die Fachkräf-
te von morgen, es sind eher die
von übermorgen. Und es sind
beileibe nicht alles Fachkräfte,
die da kommen. Hier liegt die
wirkliche Herausforderung: Wie
und wie schnell kann es gelin-
gen, diese Menschen zu qualifi-
zieren? Und wie viele Jobs gibt
es für Unqualifizierte? Ein nen-
nenswerter Teil von ihnen – ge-
schätzt bis zu 300000 – wird
vielleicht in die Schwarzarbeit
gehen, mindestens vorüberge-
hend. Dieser Markt wird wieder
wachsen.
Man könnte die Arbeitsmarkt-
integration der Flüchtlinge al-
lerdings an manchen Stellen
mit politischen Maßnahmen
beschleunigen. Nicht nur durch
massive Anstrengungen für
den schnellen Spracherwerb,
sondern auch durch eine un­
bürokratischere Anerkennung
von Qualifikationen. Hier tun
sich Kammern und Behörden
noch enorm schwer und über-
treiben es beim Papierkram
mitunter mit der deutschen
Gründlichkeit. Auch könnte der
Staat für bestimmte Flücht-
lingsgruppen mit hoher Blei­
bewahrscheinlichkeit leichter
Arbeitsgenehmigungen für
einfache Tätigkeiten noch
während des Asylverfahrens
erteilen. Denn die Leute wollen
viel lieber arbeiten, als in Hal-
len herumzuhängen. Eine
gleich mit dem Asylverfahren
startende Betreuung durch die
Bundesagentur für Arbeit, die
es bisher nur in Pilotprojekten
gibt, würde ebenfalls helfen.
Es wäre die Mühe wert. Denn
Deutschland entkommt mit
dem neuen Arbeitskräfte­
reservoir für ein paar Jahre der
demografischen Falle, in der
andere europäische Länder, die
sich dem Zuzug verweigern,
knietief stecken. Dieser Zuzug
in den deutschen Arbeitsmarkt
ist zwar nicht problemlos, aber
er ist eine Chance. Die Politik,
die Wirtschaft, die Verwal-
tung, die gesamte Gesellschaft
sollte diese Chance sehr konse-
quent nutzen. Und, wie die
Kanzlerin gefordert hat, auch
sehr flexibel.
Werner Kolhoff
<<
Der Autor ...
... (60) ist Korrespondent
und Leiter des Hauptstadt-
büros der „Berliner Medien
Service GmbH“, die täglich
20 Regionalzeitungen in
Deutschland mit Nachrich-
ten, Analysen und Kommen-
taren über die Bundespolitik
versorgt. Kolhoff war zuvor
zwölf Jahre lang in leiten-
den Funktionen bei der
„Berliner Zeitung“ tätig. Er
begann seine journalistische
Laufbahn beim Berliner „Ta-
gesspiegel“. Zur Zeit des
Mauerfalls war er von 1989
bis 1991 Sprecher des Berli-
ner Senats und von 2002 bis
2006 als Gruppenleiter im
Bundespresseamt zuständig
für die Koordinierung der
täglichen Pressearbeit und
des Internetauftritts der
Bundesregierung.
©Daniel Ernst – Fotolia.com
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