dbb magazin 03/2016 - page 33

?
?
?
?
Warum greifen einige Regelun-
gen aus dem Gesetz für die
gleichberechtigte Teilhabe von
Frauen und Männern bei den
öffentlichen Unternehmen
nicht richtig?
Papenfuß:
Teilweise hat der
Gesetzgeber für einige Unter-
nehmen in der Privatwirtschaft
Anforderungen formuliert, die-
se aber nicht für öffentliche
Unternehmen umgesetzt. Zum
Beispiel ist im Gesetz für die
gleichberechtigte Teilhabe von
Frauen und Männern an Füh-
rungspositionen in der Privat-
wirtschaft und im öffentlichen
Dienst in § 76 des Aktiengeset-
zes (AktG) vorgesehen, dass der
Vorstand für den Frauenanteil
in den beiden Führungsebenen
unterhalb des Vorstandes Ziel-
größen festlegt und diese ver-
öffentlicht. Jedoch greifen
diese Regelungen für die aller-
meisten öffentlichen Unter-
nehmen nicht. Und hier geht es
nur um eine Berichtspflicht und
Transparenz, keine Quote. Ver-
stärkt durch die Befunde der
Studie stellt sich umso mehr
die drängende Frage, ob die An-
wendung dieser Regelung aus
§ 76 AktG nicht identisch in die
Satzung von öffentlichen Un-
ternehmen aufgenommen
werden sollte beziehungsweise
ein protokollierter Gesellschaf-
terbeschluss zur Anwendung
erfolgt. Auf jeden Fall sollte die
Regelung als Empfehlung auch
in alle Public Corporate Gover-
nance Kodizes aufgenommen
werden.
Inwiefern können öffentliche
Unternehmen die Besetzung
von Führungspositionen über-
haupt selbst steuern?
Papenfuß:
Die Besetzung der
Top-Managementorgane er-
folgt durch die öffentliche
Hand als Gesellschafter und
durch die Aufsichtsräte. Hier ist
die Politik vertreten und kann
entsprechend Einfluss nehmen.
Eine entscheidende Rolle spie-
len auf kommunaler Ebene die
Oberbürgermeister/-innen. Auf
den weiteren Führungsebenen
sind die Unternehmen verant-
wortlich, wobei der Aufsichts-
rat Zustimmungsvorbehalte
für einige Führungspositionen
nutzen könnte. Es gibt ver-
schiedene konzeptionelle An-
satzpunkte wie zum Beispiel
Stadtratsbeschlüsse, Aufnah-
me von öffentlichen Unter­
nehmen in Gleichstellungskon-
zepte und -berichte, gezielte
Fördermaßnahmen, entspre-
chende Regelungen in Public
Corporate Governance Kodizes
mit verbindlichem Comply-or-
Explain-Mechanismus oder
Zielvereinbarungen mit den
Top-Managementorganen
beim Abschluss oder der Ver-
längerung von Anstellungsver-
trägen in Bezug auf die weite-
ren Führungsebenen.
Wie funktioniert die Steuerung
über einen Public Corporate
Governance Kodex mit verbind-
lichem Comply-or-Explain-Mechanismus?
Papenfuß:
Ein Public Corporate
Kodex (PCGK) ist eine Zusam-
menstellung von Grundsätzen
verantwortungsvoller Steue-
rung, Leitung und Überwa-
chung öffentlicher Unterneh-
men. Von den Empfehlungen
eines PCGK können die Unter-
nehmen situationsgerecht ab-
weichen, sind dann aber ver-
pflichtet, dies jährlich in einer
sogenannten Entsprechenser-
klärung zu begründen und die
stattdessen gewählte Lösung
nachvollziehbar zu erläutern.
Die Entsprechenserklärungen
sind auf der Unternehmens-
homepage zu veröffentlichen.
Dieser Mechanismus von „com-
ply or explain“
(Anmerkung der
Redaktion: „befolge oder erklä-
re“)
ist, gerade aufgrund der be-
sonderen Verantwortung öf-
fentlicher Unternehmen, rele-
vant und bietet viele Chancen.
Die Abgabe der Entsprechens-
erklärung sollte – wie zuneh-
mend praktiziert – in der Unter-
nehmenssatzung festgeschrie-
ben werden und zudem ein
protokollierter Gesellschafter-
beschluss hierzu erfolgen. Bei
der Befolgung einzelner Emp-
fehlungen besteht bewusst Fle-
xibilität, um den erforderlichen
Gestaltungsspielraum für Ent-
scheidungsträger zu erhalten,
aber die Abgabe und Veröffent-
lichung einer Entsprechenser-
klärung mit Kurzbegründung
ist klar verbindlich.
Was ist Ihrer Ansicht nötig,
um auch in der öffentlichen
Wirtschaft mehr Frauen in
Top-Managementpositionen
zu bringen?
Papenfuß:
Für die öffentliche
Wirtschaft müssen wir die Ur-
sachen, die zur Unterrepräsen-
tation von Frauen in den ver-
schiedenen Bereichen führen,
noch differenzierter verstehen.
Diese Ergebnisse müssen wir
noch transparenter diskutieren.
Im Städtevergleich sollten die
Konzepte und Maßnahmen zu
Ausgestaltung und tatsächli-
chen Effekten konkret vergli-
chen werden. Gleichstellungs-
politik darf nicht nur auf Kern-
verwaltung schauen, erforder-
lich ist eine integrierte Gleich-
stellungspolitik, die öffentliche
Unternehmen einbezieht. An
einigen Stellen braucht es auch
noch mehr Bewusstsein und
Engagement, um die Potenziale
auszuschöpfen. Und zentral ist,
in allen Bereichen über Qualifi-
kation, Chancengerechtigkeit
und Potenziale für die Daseins-
vorsorge stets faktenbasiert
mit belastbaren Daten zu disku-
tieren.
Die Fragen stellte
Birgit Strahlendorff.
<<
Statement
Die dbb bundesfrauenver-
tretung sieht vor allem in
der Führungskultur vieler
öffentlicher Betriebe starke
Defizite. „Hier erwarten wir
nicht nur mehr Engagement
seitens der Politik. Die Be-
triebsleitungen selbst sind
jetzt gefragt. Mit zielfüh-
renden Konzepten zur Füh-
rungskräfteentwicklung
und mehr Transparenz bei
der Besetzung von Leitungs-
positionen müssen die Wei-
chen für eine zeitgemäße
Unternehmensführung neu
gestellt werden“, sagte He-
lene Wildfeuer, Vorsitzende
der dbb bundesfrauenver-
tretung, am 1. Februar 2016.
<<
Info
Die Studie „Frauen in Top-Managementorganen öffentlicher Unter-
nehmen: Ein deutschlandweiter Städtevergleich“ nimmt 69 Städte
und 1552 öffentliche Unternehmen in den Blick. Die besten Ergeb-
nisse hinsichtlich des Frauenanteils in Führungspositionen erzielten
die Städte Gera mit 33,3 Prozent, Berlin mit 32,4 Prozent und Offen-
bach amMain mit 31,3 Prozent. Am Ende der Rangliste der Städte
mit mehr als zehn öffentlichen Unternehmen in puncto Top-Mana-
gerinnen stehen Jena, Ludwigshafen, Trier und Völklingen. Dort sind
gar keine Frauen in Spitzenpositionen zu finden. Auf Bundesländer­
ebene schnitten die öffentlichen Betriebe vor allem in Niedersach-
sen (9,9 Prozent), Bayern (8,7 Prozent) und Rheinland-Pfalz (5,8 Pro-
zent) hinsichtlich der Anzahl weiblicher Führungskräfte schlecht ab.
Deutlich bessere Ergebnisse können Berlin (32,4 Prozent), Bremen
(25,2 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (20,5 Prozent) vor-
weisen. Im Branchenvergleich stehen die Betriebe im Bereich Ge-
sundheit und Soziales (33,1 Prozent) sowie in den Krankenhäusern
(29,1 Prozent) deutlich besser da als etwa Stadtwerke (3 Prozent)
und die Abfall- und Entsorgungswirtschaft (5,5 Prozent).
Universität Leipzig
<<
Professor Dr. Ulf Papenfuß
33
spezial
dbb
>
dbb magazin | März 2016
1...,23,24,25,26,27,28,29,30,31,32 34,35,36,37,38,39,40,41,42,43,...48
Powered by FlippingBook