dbb magazin 03/2016 - page 31

Flüchtlingshilfswerks der Ver-
einten Nationen (UNHCR), Jon
Hoisaeter. 2013 waren allein
im Sommer 2000 Bootsflücht-
linge angelandet. Vermutlich
bringe die italienische Marine
inzwischen fast alle Flüchtlinge
aufs europäische Festland. Die
Situation sei jedoch hochdyna-
misch, sagen Hoisaeter und
seine Kollegin Mireille Mifsud.
Es könnten jederzeit wieder
mehr Boote kommen.
<<
Ohne Aufenthaltsstatus
kein legales Leben
Sobald die Geflüchteten das
Lager verlassen, sind sie auf
sich selbst gestellt. Dann gibt
es kein Zurück mehr in die
staatliche Obhut, so die Politik
der Regierung. Wie andernorts
springt auch hier die engagier-
te Zivilgesellschaft in die Bre-
sche. Ein großes Problem bleibt
die Gesundheitsversorgung.
Asylsuchende und anerkannte
Flüchtlinge haben Zugang, ab-
gelehnte Bewerber, die oftmals
nirgendwohin rückgeführt wer-
den können, erhalten nur noch
eine Notversorgung, müssen
den Arzt aus eigener Tasche be-
zahlen. Überhaupt ist der Auf-
enthaltsstatus der abgelehnten
Flüchtlinge ein weit größeres
Problem als der Arbeitsmarkt-
zugang: Ohne entsprechenden
Titel gibt es kein Bankkonto,
keinen Kredit, keine soziale Si-
cherheit. „Die Menschen leben
im Limbus, im äußersten Kreis
der Hölle“, sagt eine Helferin in
Anspielung auf die katholische
Theologie.
Doch nicht alle Flüchtlinge, die
kommen, sind identitäts- und
mittellos. Gut 90 Prozent der
etwa 2000 Asylbewerber, die
Malta 2015 erreichten, reiste
regulär mit Visum im Flugzeug
oder einer Fähre in den Insel-
staat. Und es gibt noch eine
dritte Kategorie von Migran-
ten, die anders als die Boots-
flüchtlinge und die regulär Ein-
reisenden von der Regierung
mit offenen Armen empfangen
werden. Malta wirbt seit Jah-
ren damit, dass Drittstaats­
angehörige die maltesische
Staatsangehörigkeit und damit
einen EU-Pass kaufen können.
Mit 600000 Euro Bargeld und
dem Kauf eines Grundstücks
imWert von mindestens
300000 Euro ist dabei, wer
über die nötigen Mittel ver-
fügt. Auf diese Weise wurden
nicht wenige ehemalige Ge-
folgsleute des Gaddafi-Re­
gimes innerhalb kürzester
Frist zu EU-Bürgern.
Im Gespräch mit Innenminister
Carmelo Abela wird deutlich,
wie schwierig der Spagat ist,
den die maltesische Regierung
wagen muss. Einerseits ist Val-
letta bestrebt, bessere Voraus-
setzungen für eine Integration
der bleibenden Flüchtlinge zu
schaffen. Die Schwarzarbeit
soll durch Arbeitserlaubnisse
bekämpft werden. Die grund-
legende Frage des rechtlichen
Status der Flüchtlinge bleibt
aber weitgehend unbeant­
wortet, weil die Regierung ihr
kleines Land offenbar als Tran-
sitzone auf demWeg nach
Deutschland und Schweden
sieht.
<<
Plädoyer für gemeinsa-
me Asylpolitik Europas
Im Inselstaat mit seinen
420000 Einwohnern ist Auf-
nahmekapazität jedenfalls kein
abstraktes Thema. Dazu ist die
Regierung in Valletta allzu of-
fensichtlich bemüht, jeden
Anschein zu vermeiden, Flücht-
linge – zumindest mittellose
– seien auf Malta willkommen.
Deutschland oder andere reiche
EU-Staaten hätten einen Mag-
neten eingeschaltet und die
Fluchtbewegung in Gang ge-
setzt, zeigt sich der Innenminis-
ter überzeugt. Diese „Pull-Fac-
tors“, die Anzugskräfte, seien
aber nicht so wichtig wie die
„Push-Factors“, Krieg, Hunger
und Elend in Syrien, Libyen und
anderswo. Abela plädiert daher
für eine gemeinsame europäi­
sche Asylpolitik mit einem per-
manenten Verteilmechanismus.
Noch nicht anfreunden kann
sich der Minister hingegen mit
dem Gedanken einer europäi-
schen Grenzschutztruppe. Da
gebe es hinsichtlich der staatli-
chen Souveränität einige offene
Fragen.
<<
Können die Hotspots
funktionieren?
2014 nahm das Europäische
Asylunterstützungsbüro (EASO)
seine Arbeit in der maltesischen
Hauptstadt auf. Das EASO ver-
sucht, die technischen Voraus-
setzungen für ein einheitliches
europäisches Asylsystem zu
schaffen. Aktuell unterstützt
das Büro die Kommission, Fron-
tex und die Mitgliedstaaten
Griechenland und Italien bei
der Errichtung sogenannter
Hotspots, jener Erstaufnahme-
lager, die an den Außengrenzen
für die Rückkehr von Kontrolle
und Ordnung sorgen und der
Ausgangspunkt für die Vertei-
lung der Flüchtlinge auf die EU
sein sollen. Der erste Hotspot in
Griechenland sei einsatzbereit,
weitere vier folgten in den
kommenden Wochen, erklärt
der kommissarische EASO-Direktor José Carreira nicht
ohne Stolz, aber auch ohne jede
Illusion: Sollten die Mitglied-
staaten sich nicht auf einen ge-
meinsamen Verteilungsmecha­
nismus einigen, können die
Hotspots nicht funktionieren.
Hinzu kommt, dass dem Unter-
stützungsbüro die Unterstüt-
zung fehlt. 200 Asylexperten
hatten die Mitgliedstaaten dem
EASO für 2015 zugesagt. 30 wa-
ren bis Ende Januar 2016 da.
<<
Probleme werden am
runden Tisch diskutiert
David de Bernadin und seine
Mitstreiter der Migrant Off-
shore Aid Station (MOAS) wol-
len von Politik und politischen
Ansichten erst gar nichts wis-
sen. MOAS ist eine vor allem
aus der Schweiz finanzierte
Nichtregierungsorganisation,
die Seenotrettung betreibt.
Mit zwei Booten, 40 und 56
Meter lang, haben sie bereits
12000 Flüchtlinge aus Seenot
gerettet. Die von Malta aus ko-
ordinierten Aktionen finden
aktuell vor allem in der Ägäis
statt. Die unpolitische Haltung
der Seenotretter erlaubt ihnen,
mit allen Behörden der Mittel-
meeranrainer vertrauensvoll
zusammenzuarbeiten.
Handeln wollen jetzt auch die
Engagierten in der maltesi-
schen Zivilgesellschaft. Ein run-
der Tisch von Vertretern der
Vereine und Verbände, darunter
auch Arbeitgeberverbände, Ge-
werkschaften und die Kirche,
ist auf Initiative des maltesi-
schen EWSA-Mitglieds Stefano
Mallia zusammengekommen.
Sie vereinbarten, sich fortan
regelmäßig zu treffen, um die
Themen Migration und Integra-
tion in Malta voranzubringen.
Das anderthalbtätige Mara-
thonprogramm der EWSA-De-
legation auf Malta zeigt: Die
Herausforderungen sind groß,
die Probleme größer. Es gibt sie
zwar, die Menschen und Insti-
tutionen, die sich weiter für
Humanität und für europäische
Zusammenarbeit einsetzen. Ein
großes Hindernis bei der Be-
wältigung der Migrationskrise
bleibt jedoch der alltägliche
Rassismus. „Ich möchte Teil die-
ser Gesellschaft sein, im Bus
bleibt der Platz neben mir aber
meist frei“, sagt Ahmed, der So-
malier. Sein altes Land hat er
verloren, ein neues noch nicht
gefunden.
cm
<<
Info
Delegationen des Europäi-
schen Wirtschafts- und So-
zialausschusses (EWSA) ha-
ben von Dezember 2015 bis
Januar 2016 zwölf Mitglied-
staaten bereist, um sich ein
Bild von den Herausforde-
rungen der Flüchtlingskrise
zu machen. Der EWSA wird
den Institutionen und den
Mitgliedstaaten in Kürze
einen Bericht vorlegen, der
sowohl Mut machende Bei-
spiele als auch kritische Ent-
wicklungen aufzeigen soll.
Der EWSA ist ein beratendes
EU-Organ, das darauf ab-
zielt, die europäische Zivil-
gesellschaft und die Sozial-
partner in die Rechtsetzung
einzubinden.
©maspartame – Fotolia.com
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