dbb magazin 7/8 2015 - page 15

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Der Autor .
. Jahrgang 1984, studierte
Politik und Volkswirtschaft
in Bamberg. Er arbeitete
für den Fränkischen Tag,
Welt am Sonntag, die
Onlineredaktion der Süd-
deutschen Zeitung und das
Manager Magazin. Nach
dem Besuch der Holtz-
brinck-Journalistenschule
ist er seit 2011 Wirtschafts-
Woche-Redakteur im
Ressort „Politik &Welt­
wirtschaft“.
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die andere meinung:
Die Verantwortungsbremse
Wer jemals ein Seifenkistenrennen miterlebt hat,
weiß: Nichts ist wichtiger als eine funktionierende
Bremse. Viel zu selten hat man im Alltag das
Glück, ammissratenen Ende einer Kurvendurch-
fahrt auf einen Stapel von Strohballen zu treffen.
Diese Regel gilt auch für die öffentlichen Finan-
zen. Wo die Ausgaben und Schulden ungehemmt
wachsen, folgt irgendwann der Crash. Ohne
Strohballen und doppelten Boden. Aus diesem
Denkmuster heraus hat der Bundestag vor sechs
Jahren die Schuldenbremse geschaffen, in den
Jahren darauf haben die Länder sie übernommen.
Das klingt wie eine gute Idee.
Doch leider verläuft sich die
Analogie im Semantischen.
Denn zum Funktionieren einer
Bremse gehört mehr. Sie muss
flexibel einsetzbar sein, sonst
endet die Fahrt nicht in der ers-
ten Kurve, sondern schon am
Startblock. Genau diese Flexi­
bilität aber fehlt der Schulden-
„Bremse“. Die legt fest: Ab
2016 muss der Bund ohne
neue Schulden auskommen,
ab 2020 gilt das dann auch für
die Länder. Ausnahmen gibt
es nur bei Naturkatastrophen
oder schweren Rezessionen.
Das aber bedeutet: Keine Inves-
titionen in guten Zeiten. Schul-
den sind nur noch in Form von
Konjunkturprogrammen mög-
lich, die den Selbstzweck erfül-
len, die Konjunktur wieder in
Fahrt zu bringen. Der innere
Nutzen der geförderten Projek-
te steht dabei an zweiter Stelle.
Das macht die vermeintliche
Schuldenbremse zur Staatsblo-
ckade. Denn konsequent zu
Ende gedacht, bedeutet die
Schuldenbremse: Finanziert
wird, was reinpasst. Alles ande-
re muss auf die lange Bank ge-
schoben werden, in Erwartung
einer möglichen Krisensituati-
on. Damit aber wird der Kern
dessen auf den Kopf gestellt,
was Politik ausmacht: Entschei-
dung und Verantwortung. Nach
Aristoteles müssen drei Dinge
vorliegen, damit eine Handlung
einer Person zurechenbar ist. So
muss der Entscheidungsträger
wissen, welche Folgen seine Ta-
ten haben (Kausalität). Außer-
demmuss er die Entscheidung
mit Absicht treffen (Intentiona-
lität). Vor allem aber muss er
frei sein in seiner Entscheidung
(Freiwilligkeit). Diese Freiheit
aber wird durch die Schulden-
bremse massiv eingeschränkt,
weil sie jede Ausgabe ohne Ge-
genfinanzierung unmöglich
macht. Hier kürze ich, ich kann
nicht anders. Aus politischer
Sicht mag das sogar rational
sein. Zwar entmachtet sich die
Regierung damit ein Stück weit
selbst. Zugleich aber muss sie
sich danach auch nicht mehr
sorgen, für ihre Entscheidun-
gen zur Rechenschaft gezogen
zu werden.
Gesellschaftlich aber ist diese
Selbstentmachtung hochge-
fährlich. Denn diese Technokra-
tisierung entfremdet die Men-
schen von der Demokratie. Wo
es nichts mehr zu entscheiden
gibt, da gibt es auch keinen
Grund mehr, sich um die Beset-
zung der entscheidenden Pos-
ten zu kümmern. Die machen
doch ohnehin alle das Gleiche.
Am Ende interessieren sich nur
noch Radikale für Wahlen.
Die Schuldenbremse liest sich
zudem wie das Eingeständnis
der eigenen Unfähigkeit. Denn
die Regelung sagt aus: Wir
würden ja gerne sparen, aber
wir wissen, dass wir es selbst
nicht können. Hier ist der
Schlüssel zu meiner Hausbar,
bitte versteck ihn vor mir. Der
Wille ist stark, aber das Fleisch
ist schwach.
Die aktuelle Debatte über die
Finanzierung der Infrastruktur
ist ein gutes Beispiel dafür,
welchen Schaden die Schul-
denbremse anrichtet. Eigent-
lich spricht alles dafür, Geld für
neue Straßen in die Hand zu
nehmen. Vielerorts ist es drin-
gend nötig, außerdem konnte
sich der Bund nie so günstig
Geld leihen wie heute. Selten
machten außergewöhnlich
hohe Steuereinnahmen zu-
gleich das Haushalten an sich
so entspannt. Und dennoch
sollen den Autobahnbau in Zu-
kunft Private übernehmen. Das
verdanken wir allein dem Fe-
tisch Schuldenfreiheit. Die Spi-
rale der Schuldzuweisungen ist
schon absehbar, falls mal et-
was schiefgehen sollte. Der Be-
treiber hat es verbockt. Aber
wir können jetzt leider nichts
mehr daran machen, Vertrag
ist Vertrag, pacta sunt servan-
da. Politik? Eine Kette von är-
gerlichen Unvermeidbarkeiten.
Dabei gäbe es Alternativen zur
Schuldenbremse. Die Maas­
tricht-Kriterien waren nicht al-
lein deswegen eine schlechte
Idee, weil der deutsche Finanz-
minister so schnell die Reihe
derjenigen eröffnete, die sie
ignorierten. Sondern weil sie
so verbindlich waren, wie jetzt
die Schuldenbremse. Deshalb
verloren sie in demMoment
ihre gesamte Glaubwürdigkeit,
als sie erstmals und sichtbar
ohne Konsequenzen gebro-
chen wurden. Man könnte die
Kriterien aber als unverbindli-
chen Maßstab vernünftiger
Politik verwenden. An dieser
müsste sich dann jede Regie-
rung messen. Mit Argumenten
könnte sie ihr Publikum über-
zeugen, wenn sie es für ange-
bracht hält, den Rahmen der
Vernunft zu verlassen. Wenn
es ihr gelingt, schön. Wenn
nicht, wird sie abgewählt. Das
nennt man Demokratie.
Konrad Fischer
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